Verweile doch, Du bist so schön?

Oder: Was der Zocker nicht kennt, spielt er nicht.
Neulich, eines wunderschönen sonnigen Tages, hab ich mich nicht etwa in den Park gelegt. Nein, ich surfte durch das Netz der Netze, bekam ein paar neue Pickel und blieb an einem Artikel bei Intro.de hängen. Hauptsächlich deswegen, weil es zunächst den Anschein hatte, als würde es um eines meiner Lieblingsreizthemen, Indizierung und Gewalt in Videospielen, gehen. Ging es auch. Aber nur zum Teil. Denn das Fazit des Artikels lautet: Die meisten neuen Videospiele begnügen sich damit, bisher erreichte technische Standards zu verfeinern bzw. zu verbessern, sowohl was die Spielmechanik als auch die visuelle und akustische Präsentation angeht. An die Inhalte traut man sich, sofern sie überhaupt vorhanden sind, kaum. Die meisten Videospiele seien ein purer technischer Show-off. Und das hauptsächlich deswegen, weil die Kundschaft nichts anderes verlangt.
Neu ist die Erkenntnis sicher nicht. Aber es ist doch irgendwie bezeichnend, dass sich über all die Jahre wenig bis gar nichts an der Situation geändert hat. Dabei bemüht man sich seit geraumer Zeit verschiedener Orts, das Videospiel als ernst zu nehmendes Medium zu etablieren und zu begreifen – vergleichbar zum Beispiel mit Film und Fernsehen. Es erscheinen – und verschwinden – Magazine, die versuchen, abseits von gängigen, technikfixierten Bewertungskorsetts an das Videospiel heranzutreten. Bei macinplay haben wir öfters Meldungen veröffentlicht, die belegen, dass sich das Computerspiel bei Menschen jenseits der 25 zunehmend größerer Beliebtheit erfreut. Was natürlich – zu einem nicht unerheblichen Teil – daran liegt, dass die Kids von damals ihr Hobby einfach über die Jahre mitgenommen haben und nach wie vor mitnehmen. Beim Besuch der Webseiten der »Gamestar« wird man seit einiger Zeit mit ›Sie‹ angesprochen. Die Adoleszenz ist in vollem Gange. Und eigentlich ist es auch höchste Zeit für diesen Wandel. Umso erschreckender ist da andererseits die Feststellung, dass die Spiele selbst kaum mitgereift sind. Denn trotz allem technischen Bombasts und grafischen Pomps sind die meisten neuen Spiele nur selten mehr als ein Geschicklichkeitstest.

Das ist einigermaßen schade. Gerade dem Videospiel sollten – als noch immer relativ jungem Medium – doch zahlreiche neue Möglichkeiten offen stehen, Geschichten zu erzählen. Auch – und besonders – jenseits von Cutscenes. Und gerne in Spielen, die nicht zu den klassischen Erzählgenres (Adventures, Rollenspiele etc.) gehören. Aber das wäre was Neues. Was Neues ist immer auch ein Wagnis. Und für Wagnisse wird nur selten Geld locker gemacht – vor allem in einer Industrie, in der, wie man sagt, schon die Entwicklung eines ›konventionellen‹ Spiels horrende Summen verschlingt. Wenn man dann als Spieleproduzent doch weiß, dass man seine Kunden auch mit weit weniger ambitionierten Produkten bei der Stange halten kann, braucht man auch kein Geld in waghalsige Unternehmungen investieren.

Klingt das resigniert? Mag sein. Und dabei geht es geht mir nichtmal um Kritik an der gängigen Praxis, erfolgreiche Spielkonzepte in zahlreichen Fortsetzungen immer wieder auf den Markt zu schmeißen. Es geht mir auch nicht darum, Weiterentwicklung zu verteufeln. Neue Möglichkeiten durch Variation und Verfeinerung bestehender Ideen sind toll. Ich würde mir nur wünschen, dass abseits der großen ›Blockbuster‹, abseits des Wiederkäuens, des Verfeinerns und Verbesserns von bereits dagewesenem auch ein Raum für inhaltlich und formal ambitionierte Projekte entsteht. Für Projekte, die mehr Spielerfahrung zulassen als (lobenswerte) Sharewareexperimente wie z.B. »The Graveyard«. Neben vielen neueren Ego-Shootern wirkt auf mich z.B. sogar der dritte Aufguss des vielgescholtenen Megasellers »Die Sims« wie ein Ausbund an Innovation und Experimentierfreude. Und das macht mir ein bisschen Angst. Auch vor mir selbst.