Gorky 17
06.07.2003
»Gorky 17« steht an zum Review. Ein im Sci-Fi/Horror-Genre angesiedeltes Adventure mit Rollenspielelementen. Klingt spannend. Ist es auch, wenn man Reviews der Original Playstation- oder PC-Version glauben darf. Ich freue mich, dass sich kein anderer Kollege zum Testen bereit erklärt und presche, mit den Fingern schnipsend, laut „Ich, ich!!“ rufend nach vorne.
07.07.2003
Ein Kollege unkt: »Gorky 17«, das bei e.p.i.c. interactive erschienen ist, sei von einer berüchtigten Firma portiert worden. Er versucht, mich mit den Hardwareanforderungen, die er für dieses Spiel angemessen hält, zu schockieren. »Gorky 17« sei erst mit mehr als 512 MB Ram einigermaßen spielbar und Mac OS X ein absolutes Muss. Ich bin unbelehrbar, freue mich auf Spannung, Atmosphäre, abendfüllende Zockerei. Noch immer ist kein anderer Kollege an einem Testbericht interessiert, was mich zwar ein bisschen wundert, aber nicht weiter beunruhigt. Um 22:37 dieses denkwürdigen Tages wird der Deal dann endgültig gemacht, ich bekomme »Gorky 17« in den nächsten Tagen zugeschickt.
09.07.2003
»Gorky 17« liegt im Briefkasten. Schön. Die Versandtasche aufgerissen, das Spiel aus der Verblisterung befreit und schon halte ich eine gefährlich rote, mit einer organisch anmutenden Illustration verzierte Packung in meinen Händen. Ich atme den Duft der frisch ausgepackten DVD-Packung ein. Es folgt die übliche, bei jedem neuen Produkt immer wieder rituell durchgeführte Handlung: Erstmal wird der Verpackungstext gelesen. Ich stolpere über die Hardwareanforderungen. Ein G3 mit 300 Mhz wird minimal vorausgesetzt, das Spiel sei auf OS X und OS 9 lauffähig und lächerliche 128 MB RAM seien zum Betrieb notwendig. Auch die empfohlenen Hardwarevoraussetzungen lesen sich einigermaßen human, einen G4 mit 400 Mhz hätte man gerne, 192 MB RAM dürfen es sein und eine Grafikkarte mit 16 MB VRAM wäre auch nicht schlecht. Was hat der Kollege bloß?!
Ich zucke mit den Schultern und lese weiter. Der Rest des Packungstextes verspricht, was die zuvor im Internet gelesenen Reviews der PSX-Version versprachen: eine Story um mysteriöse Ereignisse in einer der »geheimen Städte« Russlands, nämlich in »Gorky 17«. Das russische Militär hat – aus unbekannten Gründen – irgendwann im Jahre 2008 beschlossen, diese Stadt komplett dem Erdboden gleichzumachen. Da man weiß, dass die Stadt von den Russen zur Durchführung militärischer Experimente genutzt wurde, ist man bei der NATO sehr daran interessiert, die Gründe für diese Aktion in Erfahrung zu bringen. Ein Jahr später entdeckt man in der polnischen Stadt »Lubin« ein weiteres geheimes Forschungslabor, das – laut einer anonymen Quelle – den Laboren in »Gorky 17« sehr ähnlich sein soll. Man entsendet einen Spähtrupp, der schon bald spurlos verschwindet. Meine Aufgabe soll es nun sein, mit einem zweiten Spähtrupp das Verschwinden des ersten Trupps aufzuklären.
Nächster Schritt im Ritual: Ich klappe die Verpackung auf. Mir purzelt ein vierundsechzig Seiten starkes Handbuch entgegen, es fällt zunächst auf meinen Schoß, macht sich dann zwischen meinen Beinen hindurch auf den direkten Weg in Richtung Boden: Eine der Haltezungen in der Packung hat den Belastungen nicht stand gehalten und sich ebenfalls mit dem Handbuch in Richtung Boden verkrümelt. Während ich mich bücke, um die Anleitung wieder aufzuheben und die abgebrochene Zunge in den Papierkorb zu befördern, fällt mir wieder ein, wie sehr ich derartig durchdachte Verpackungskonzepte zu schätzen weiß… 🙁
Der Ärger über die unfreiwillige Gymnastik verfliegt recht schnell, da ich erkenne, dass dieses Spiel immerhin mit einer gedruckten Anleitung ausgeliefert wird, noch dazu einer, die anscheinend auch inhaltlich wirklich was zu bieten hat. Ok, drei Sprachen fordern ihren Tribut, aber immerhin ist der deutsche Teil der Anleitung 19 Seiten stark. Das Booklet ist leider komplett nur in schwarz-weiß gehalten. Nunja, immerhin ist es vorhanden. Ich blättere mich vor bis zum deutschen Teil. Dort werde ich noch einmal ausführlich mit der Story bekannt gemacht. Beim Kapitel »Installation« werde ich zum ersten Mal stutzig: Sehr merkwürdig gelöst, das Ganze. Zuerst das Installations-Icon auf die Partition ziehen, auf der Gorky installiert werden soll, dann darauf doppelklicken und installieren… Die Falten in meiner Stirn werden tiefer, als ich den Text ein zweites Mal lese: Steht da wirklich „Gorky 17 Schublade“? Tatsächlich! Ich freue mich, wieder einmal eine neue, alternative Bezeichnung für den guten alten „Dateiordner“ aufgeschnappt zu haben, man lernt nie aus. Wenn auch etwas umständlich gelöst, geht die Installation im Praxistest recht einfach von der Hand. Nachdem sie abgeschlossen wurde, belegt das Programm einen halben Gigabyte Speicher auf meiner Festplatte.
Fast schon erliege ich der Versuchung, einen Doppleklick auf das Programmsymbol zu machen, kann mich aber doch noch dazu durchringen, das dritte Kapitel der Anleitung zu lesen: „Spiel starten“. Und das ist auch gut so. Denn nach der eigentlichen Installation muss noch das »Gorky 17«-GUI-Icon manuell von der CD auf die Festplatte kopiert werden. Als jemand, der noch immer mit OS X fremdelt, lache ich mir beim Lesen des nächsten Absatzes ins Fäustchen: Der OpenGL-Renderer sei auf älterer Hardware unter OS X etwas langsam, man solle besser unter OS 9 im Software-Modus spielen. Oh, und man möge bitte dafür sorgen, dass noch 200 MB Festplattenkapazität frei wäre – temporäre Dateien, Virtual Memory und so…
Alles kein Thema, aber ich würde jetzt gerne anfangen. Ich suche also das Programmsymbol in der »Gorky 17-Schublade«. Plötzlich halte ich inne: Da war doch noch was… Richtig! Auf der CD befand sich ja auch noch eine »LiesMich«-Datei. Also: Kommando rückwärts, die Datei rausgesucht und geöffnet. Ich erblicke vier Kapitel, die mir relavant zu sein scheinen. Bereits im ersten Kapitel wird darauf aufmerksam gemacht, dass man das Spiel unbedingt unter Mac OS X spielen solle. Hm, okay. Also zu früh gefreut. Doch weiter im Text. Es beginnt eine Lobhudelei. Die Rede ist von hervorragenden Grafiken, komplett deutscher Sprachausgabe, einer packenden Story und einem exzellenten Soundtrack. Auch im zweiten Kapitel „Systemanforderungen“ wird mir Mac OS X als zu wählende Plattform für den ultimativen Spielgenuss schmackhaft gemacht. Beim Lesen des dritten Kapitels habe ich ein Deja-vû, dieses Kapitel wurde komplett aus der gedruckten Anleitung übernommen. Im 4. Kapitel, dem „Mini-FAQ“, bekomme ich langsam den Eindruck, dass man mit allen Mitteln verhindern will, dass irgendjemand das Spiel unter Mac OS 9 startet. Plötzlich empfiehlt man 256 MB RAM für das Spiel unter OS 9, und legt mir mehrmals nahe, unter OS X zu spielen. Die aufgeführten – und größtenteils unter OS 9 auftretenden – Fehler führt man auf das mangelhafte Speichermanagement unter OS 9 zurück – also ist immer das Betriebssystem schuld, wenn das Spiel abstürzt.
Aber ich bin stur. Ein Doppelklick auf das »Gorky 17«-GUI-Icon, schnell die gewünschten Optionen ausgewählt und ab ins „Vergnügen“. Nach kurzer Zeit erscheint das Hauptmenü. Leider hatte ich vergessen, dass in meinem System neben einer ATI- auch eine alte 3dfx-Voodoo 5500-Karte steckt, die Probleme mit OpenGL hat. Beim ersten Versuch produzierte »Gorky 17« immehin das Hauptmenü, das ist schon einmal mehr, als einige andere OpenGL-Spiele zu Stande bringen. Dafür hat das Bild einen merkwürdigen Farbstich, und auch sonst sieht alles irgendwie falsch aus. Nach dem Klick auf den „Spiel starten“-Button, tut sich eine ganze Zeit lang nichts. Kein Grund zur Beunruhigung, die „LiesMich“-Datei hatte mich ja gewarnt: Lange Ladezeiten seien unter OS 9 nichts Ungewöhliches. Nach einer halben Ewigkeit ertönt zwar Sound aus den Boxen, aber der Bildschirm bleibt schwarz. Nichts hilft, auch mit der letzten Notlösung „apfel alt esc“ gibt es kein Entrinnen aus der schwarzen Hölle. Ich bücke mich zum zweiten Mal, um den Reset-Knopf an meinem Rechner zu drücken.
Zweiter Versuch. Diesmal habe ich den Hauptbildschirm auf die ATI-Karte gelegt, ein Trick, der bislang bei einigen Spielen geholfen hatte. Zunächst schaut es auch so aus, als würde alles funktionieren: Das Hauptmenü sieht besser aus, und nachdem der Befehl zum Starten des Spiels gegeben wurde, sehe ich tatsächlich, wie die drei Protagonisten auf einem Schlauchboot im Hafen Lubins anlegen. Mir bleibt sogar noch ein wenig Zeit, die Gegend zu erkunden, bis ich wohl auf das erste Monster stoße und irgend etwas geladen werden soll. Kurz darauf bücke ich mich zum dritten Mal an diesem Tag, um erneut den Reset-Knopf zu drücken.
So langsam wird mir die Sache unheimlich. Ich beschließe, die Tipps der LiesMich-Datei zu beherzigen und besser doch unter OS X zu spielen. Da ich noch zu arbeiten habe, verlege ich die Aktion auf einen anderen Tag.
11.07.2003
Bye bye OS 9, hallo OS X. Nach dem Klick aufs Programmicon blicke ich erstaunt auf den Bildschirm: Die Filme hatte ich unter OS 9 nicht gesehen, geschweige denn gehört… Nach einem Klick auf den Start-Button im Hauptmenü gibt’s ein weiteres Intro-Filmchen zu sehen. Kurze Zeit später trudeln die drei Protagonisten per Schlauchboot im Hafen Lubins ein. Die Grafik des Spiels scheint tatsächlich recht ansehnlich zu sein, auch der Sound ist bis jetzt ganz ordentlich. Lustig wie immer: Die Synchronstimmen. Ich frage mich, wann mir das erste Spiel unterkommt, in dem es nicht so wirkt, als würden die Sprecher gemütlich bei einer Tasse Tee um ein Mikrofon herumsitzen und sich gegenseitig Geschichten vorlesen…
Ich komme an die kritische Stelle, an der »Gorky 17« unter OS 9 crashte – und siehe da: Ein Kampfbildschirm wird geladen. Auch unter OS X sind die Ladezeiten nicht zu kurz geraten. Bei der Stange gehalten werde ich durch den zu früh einsetzenden Soundtrack, der es sich allerdings nach ein paar Sekunden wieder anders überlegt und abrupt abbricht.
Auch im Kampfbildschirm wissen Grafik und Sound zu gefallen. So langsam beginnt das Spiel, seine apokalyptische Atmosphäre zu entfalten und mich in seinen Bann zu ziehen. Die Kämpfe erinnern in ihrer Machart ziemlich an japanische Rollenspiele. Sie werden Rundenbasiert ausgetragen. Jedem Charakter meines Teams steht innerhalb eines Zuges eine Anzahl an Bewegungspunkten zur Verfügung. Die gilt es clever einzusetzen, um zum einen den Gegner ins Visier zu nehmen, und zum anderen nach dem Schuss die Deckung aufzusuchen. Sind alle Punkte aufgebraucht, bleibt dem Charakter nichts anderes übrig, als wie angewurzelt auf der Stelle stehen zu bleiben und alles über sich ergehen zu lassen, was da auch geschehen mag. Unterschiedliche Waffen bieten unterschiedliche Reichweiten und auch Schussrichtugen. Mit einigen Waffen kann ich im 45°-Winkel auf die Gegner schießen, bei anderen sind lediglich 90°-Winkel möglich. Ich möchte natürlich mit der flexibelsten Waffe schießen. Also: Auf ins Menü und den Charakter mit der Waffe austatten. Doch was ist das? Bei jedem Klick, den ich mit der Maus mache, rückt der Mauszeiger ein Stück nach rechts! Nervig. Ich schaffe es trotzdem bis ins Menü, drücke dort dem Charakter die Waffe in die Hand und schaffe es, meinen ersten Schuss abzufeuern.
Bald beziehe ich erste Prügel, ein paar Minuten später sieht’s schon brenzlig aus. Es wird Zeit für ein Medipack. Die kann man über ein am unteren Bildschirmrand befindliches Pulldown-Menü auswählen. Der Scrollbalken am rechten Rand des Menüs funktioniert nicht, also klicke ich auf die Rauf- und Runterpfeile. Die Maustaste gedrückt halten, um zu scrollen, funktioniert nicht, also muss ich ständig klicken, bis ich am gewünschten Objekt angekommen bin. Das Ganze kombiniert mit dem merkwürdig reagierenden Mauszeiger… you do the math. Bereits im zweiten Kampf bin ich von diesen Fiesematenten so angenevrt, dass ich keine Lust mehr habe. Kurz bevor ich das Spiel beenden kann, wird die Software selbst für mich tätig: Nach einer halben Stunde stürzt das Programm ab – und ich habe natürlich nicht gespeichert. Entnervt schalte ich den Rechner aus und sauge eine Runde Staub.
12.07.2003
Nur nicht verzagen, denke ich mir, beginne eine neue Runde, ganz von vorne. Ich denke sogar daran, zu speichern. Das zahlt sich aus, denn diesmal beendet sich das Programm nach einer Stunde – von selbst.
14.07.2003
Ich lasse es drauf ankommen, trenne die Voodoo 5500 von Ihrer Stromversorgung und boote Mac OS 9. Jetzt lässt sich das Spiel starten. Die Filme werden zwar immer noch nicht abgespielt, aber immerhin komme ich jetzt bis in den Kampfbildschirm. Die Grafik sieht – verglichen mit dem, was man unter OS X zu Gesicht bekommt, wirklich bescheiden aus: Die Monster wirken viel pixeliger, auch die gelegentlich eingeblendete Typografie pixelt ekelhaft auf. Dafür bedient sich die Maus anständig, und ich genieße es, den Mauszeiger nach einem Klick noch da vorzufinden, wo er vor dem Klick war. Die Freude währt allerdings nicht lange, in etwa eine halbe Stunde. Dann crashte das Spiel. Bei mir stellt sich ein Brechreiz ein.
28.08.2003
Mit mittlerweile sehr ambivalenten Gefühlen starte ich »Gorky 17« unter OS X. Eigentlich habe ich schon gar keine Lust mehr, mich überhaupt mit dem Programm zu beschäftigen, aber die Pflicht, die Pflicht… Ich schaffe es, erstaunlich lange am Ball zu bleiben. Die ersten fetten Gegner werden erledigt. Ich stelle fest, dass jeder Gegner eine andere Taktik erfordert und das der Schwierigkeitsgrad des Spiels recht hoch angesiedelt ist. Gerade, als es anfängt, wieder Spaß zu machen, bietet mir das Spiel einen weiteren Negativ-Flash: Als ein besonders fetter Gegner mit einem kurzen Intro-Film vorgestellt wird, wird der Film nur auf der linken Hälfte des Bildschirms dargestellt, die rechte Hälfte des Bildschirms bleibt schwarz. Der Brechreiz stellt sich wieder ein.
Ich habe den Gegner gerade niedergekämpft, als das passiert, womit ich inzwischen eigentlich hätte rechnen müssen, aber nicht in diesem Augenblick des Triumphs: Das Spiel hängt sich auf. Einfach so, mir nichts dir nichts. Mir entfährt ein Aufschrei des ungläubigen Entsetzens, fassungslos starre ich auf meinen eigentlich ganz ansehnlichen OS X-Desktop. Ich frage mich, wie ich bloß ein um Ausgewogenheit bemühtes Review zu so einem Machwerk schreiben soll und warum die Kollegen eigentlich immer alles besser wissen müssen.
Fazit:
29.09.2003
Nachdem ich es einen Monat vor mir hergeschoben habe, möchte ich die Sache endlich zu Ende bringen. Obwohl sich die emotionalen Wogen geglättet haben, steht folgendes fest: Keine zehn Elefanten werden mich dazu bewegen können, »Gorky 17« noch einmal zu starten oder es gar bis zum Ende durchzuspielen. Vielleicht ist dies deswegen mein bislang unausgewogenster, unobjektivster Testbericht. Aber wie hätte dieses Review auch anders ausfallen können? »Gorky 17« ist auf dem Mac annähernd unspielbar, bestenfalls eine »very early beta«, egal ob Mac OS X oder 9. Und das zu einem solchen Preis! Eine echte Unverschämtheit! Zu schade, dass bei der Portierung so derbe geschlunzt wurde. Dass »Gorky 17« eigentlich kein schlechtes Spiel ist, kann man selbst aus diesem Datenmüll noch wittern. Bis hier nicht ganz gründlich nachgebessert wurde, kann ich dieses Produkt allerdings niemandem empfehlen. Zu haben ist es im macinplay-Shop dennoch.
Verfügbarkeit
Zu haben ist das Spiel im macinplay-Shop oder bei Amazon.
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