Myst

Es gibt nicht viele Spiele, die eine Legende geworden sind. Meistens sind es Spiele, die Pioniere waren, neue Genres definiert und in technischer oder spielerischer Hinsicht neue Grenzen erschlossen haben. Myst kann all dies für sich beanspruchen, ist nebenbei auch lange Zeit das meistverkaufte Spiel aller Zeiten gewesen und hat auch heute noch in der ewigen Topsellerliste einen Platz weit vorne. Myst ist sogar eine echte Killerapplikation gewesen, denn es war eines der ersten Spiele, das aufgrund seines Umfanges eine CD benötigte und somit den Einzug von CD-Laufwerken in die Computer eingeläutet hat. Aber nachdem nun schon der dritte Teil der Serie (Riven und Myst III: Exile sind die beiden Nachfolger) und zwei Remakes des Originals heraus gekommen sind, wie schlägt sich Myst gegen seine Kinder und gegen den Rest der Welt?

Nach dem Start beginnt das Spiel ohne Vorgeschichte oder großartiges Intro auf einer Insel, völlig menschenleer und mit allerlei seltsamen Geräten und Vorrichtungen, die auf den ersten Blick alle keinen rechten Sinn zu machen scheinen. Man wandert ein wenig umher, ohne zu wissen, was man eigentlich hier macht und warum man hier ist. Dann sieht man hier eine interessante Konstruktion, bemerkt dort einen kleinen Hinweis und langsam, aber sicher begreift man die Hintergründe von Myst. Ich werde hier nicht die Geschichte verraten, nur soviel, das man sich im Verlauf des Spiels auf eine Reise zu neuen Welten begibt, um eine Familienangelegenheit zu klären.

Das Spiel ist im Prinzip ein Point & Click-Adventure, sämtliche Handlungen werden mit der Maus ausgeführt. Dadurch wird die Steuerung sehr einfach, denn schließlich kann man nur mit der Maus irgendwo auf das Bild klicken. Wenn man die Ränder des Bildes anklickt „bewegt“ man sich entsprechend zum nächsten Bild in dieser Richtung. Myst besteht aus vielen dieser vorgerenderten Einzelbildern, die damals als technische Revolution galten und auch heute noch ganz nett anzusehen sind, auch wenn man ihnen ihr Alter deutlich anmerkt. So ist Myst auf 256 Farben beschränkt, das Spiel ist schon bei 640×480 nicht fähig, einen Fullscreen-Modus anzubieten und durch die vorgerenderten Bilder wirkt das Spiel stellenweise doch zu statisch, weil sich etwa weder das Meer noch sonst irgendwas bewegt. Der Detailreichtum ist aber auch nach heutigen Maßstäben sehr hoch und liebevoll umgesetzt. Mit heutigen, vollständigen 3D-Welten kann diese Technik natürlich nicht konkurrieren und es ist gewöhnungsbedürftig, aber für Myst funktioniert dieses System noch ganz gut. Im Gegensatz zur Grafik ist der Sound aber auch heute noch absolut auf der Höhe der Zeit. Spärlich eingesetzte, aber effektvolle Musik und beängstigend realistische Soundeffekte sorgen für eine hervorragende akustische Kulisse.

Was aber macht Myst als Spiel aus? Vor allem natürlich die vielen Rätsel, die man lösen muss. Action kann man von Myst nicht erwarten, Hektik und atemlose Spannung sind in diesem Spiel ungefähr so präsent wie in einem tibetanischen Gebirgskloster. Der Entwickler wirbt auch noch damit, dass man nicht sterben, geschweige denn sich etwas antun kann. Was den Spieler hier immer wieder antreibt, ist nicht wie sonst der Adrenalinstoß, sondern die Neugier, der Wunsch zu erfahren, was passiert ist und warum.

Um das herauszubekommen und Licht in das Dunkel von Myst zu bringen, muss man überall Hinweise sammeln, fremdartigen Geräte bedienen und Rätsel lösen, die dem Gehirnschmalz durchaus einiges an Arbeit abverlangen, aber alle lösbar und logisch sind. Der Einfallsreichtum der Erfinder bei den Rätseln ist erstaunlich, denn man muss sehr unterschiedliche Dinge lösen. Ein Rätsel besteht zum Beispiel darin, durch Wasserleitungen und Ventile einen Wasserfluss zu regulieren und an die richtige Stelle zu leiten, was durch verschiedene Verzweigungen und Sackgassen ziemlich knifflig ist. Ein anderes Rätsel besteht darin, eine Geräuschsequenz, die man vorher an einem anderen Ort gehört hat, an einer Schalttafel nachzustellen, um eine Tür zu öffnen. Der Schwierigkeitsgrad bleibt dabei überschaubar, denn Myst hat auch viele Leute begeistert, die vorher nie ein Computerspiel angerührt haben und dementsprechend an den Rätseln ordentlich zu grübeln hatten. Adventure-Veteranen aber sollte Myst keine unüberwindbaren Probleme bereiten, und sie werden wohl schneller am Ziel sein, als ihnen lieb ist. Man kann schon nach einigen (zugegeben langen) Tagen das Ende sehen, wenn man alle Rätsel zügig lösen kann, was nicht allen gelingen wird, aber durchaus möglich ist. Das Ende an sich ist nicht sonderlich spektakulär und hat im Prinzip nach einer Fortsetzung von Myst geschrieen, wartet aber mit netten Videos auf. Es gibt sogar mehrere mögliche vorzeitige Enden, aber besonders herausragen tut keines davon, und diese sind sogar noch etwas ernüchternder als das „lange“ Ende. Richtig enttäuscht ist man aber nicht – und das deshalb nicht, weil es inzwischen besagten Nachfolger gibt.

Viel beeindruckender und unendlich wichtiger als alle Rätsel und ein kinoreifes Finale ist die Welt von Myst, denn selten gab es ein Spiel, in das man so eintauchen konnte, das einen so sehr in seiner Spielwelt gefangen genommen hat. Schon nach kurzer Zeit hat man die altbackene Technik und die kuriosen Eigenheiten von Myst vergessen, man versinkt völlig in einem atmosphärisch grandiosen Erlebnis, das einen nur schwer wieder loslässt. Das ist die große Stärke von Myst, das hat damals wie heute die Fans zu diesem Spiel gezogen.

Ärgerlich sind aber einige Kleinigkeiten, an die bei der Entwicklung wahrscheinlich keiner gedacht hat, die aber in heutigen Adventures nun mal gang und gäbe sind: Warum kann man nur einen einzigen Gegenstand mit sich herumtragen und das auch nur, weil man ihn in der Hand hält? Gut, der Spielverlauf bedingt kein Inventar und man kommt auch gut ohne aus, aber komisch ist das schon. Auch eine Automap (oder überhaupt eine Karte) fehlt, so dass man sich gelegentlich doch mal schnell verirren kann. Viel schwerer wiegt aber, dass es keine Möglichkeit gibt, im Spiel Notizen anzufertigen. Anders als in den meisten anderen Adventures muss man in Myst häufig mal mit recht komplexen Hinweisen, wie Sternbildern oder kurzen Melodien oder exakten Daten (mit Jahreszahl und Uhrzeit) hantieren, deren Bedeutung sich auch vielfach nicht sofort erschließt. Die vielen Hinweise, die man im Spiel bekommt, muss man nun entweder alle im Kopf behalten oder sich auf einen Zettel schreiben, denn in Myst selbst gibt es kein Journal oder so was, ganz zu schweigen, von einem, das wichtige Hinweise vielleicht auch noch selbstständig einträgt. Ärgerlich ist das vor allem, da die meisten Notizen sich bereits schön säuberlich sortiert in der Bibliothek befinden, man aber immer wieder überflüssigerweise zurück rennen muss, um Sachen nachzuschlagen, da die Bücher ja nicht entfernbar sind. Hier wäre auch das bereits monierte Inventar eine elegante Lösung gewesen, so dass man die Bücher einfach mitgenommen hätte.

Wie gut funktioniert nun aber ein Spiel, das 1993 erschienen ist, auf einem Rechner von heute, ein knappes Jahrzehnt später? Die Anforderungen sind aus heutiger Sicht wirklich niedlich: Dass auf der CD noch ein Hinweis steht, dass 256 Farben erforderlich sind, sollte keinem heutigen Mac-Benutzer mehr als ein amüsiertes Grinsen entlocken. Aber lässt sich ein Spiel, das noch mit System 7.0.1 auskam, überhaupt auf heutigen Macs spielen? Oder hat die rasante Computerentwicklung doch ihren Tribut gefordert? Nun, ich habe es sogar in der Classic-Umgebung von Mac OS X ohne Probleme zum Laufen bekommen, also kann man auch auf brandneuen Macs in die Welt von Myst eintauchen.

Fazit:

Myst ist zu Recht ein Klassiker und eines der erfolgreichsten Spiele aller Zeiten. Für Spieler, die einen nervösen Zeigefinger haben und Gameplay mit Reaktionsschnelligkeit verwechseln, ist Myst das falsche Spiel. Für diejenigen, die eintauchen wollen in eine fantastische, fremde Welt und auch mal ein wenig ihre grauen Zellen benutzen wollen, ist Myst auch heute noch einen Blick wert, auch wenn der Zahn der Zeit schon daran genagt hat.

Es gibt auch die Myst: Masterpiece Edition, die mit überarbeiteten Bildern (mit mehr als 256 Farben) und Sound aufwartet und auch eine Hilfe bei den Rätseln anbietet aber ansonsten dem Originalspiel entspricht. Wer allerdings nicht in Nostalgie schwelgen mag, kann sich auch realMyst ansehen, das ein Remake des klassischen Myst mit einer zeitgemäßen 3D-Engine ist und im Prinzip das Spiel darstellt, das die Entwickler von Myst schon damals machen wollten, was damals aber an den technischen Limitationen gescheitert ist. Eine Demo von realMyst ist verfügbar.

Boman Hwang

Verfügbarkeit

Zu haben ist das Spiel im macinplay-Shop.

Screenshots (klicken für mehr)

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