Mind the Gap!
Es begab sich vor gar nicht allzulanger Zeit, dass ich vom Teufel geritten wurde. Er steuerte mich geradewegs auf einen Einkaufsbummel mit meinem zwölfjährigen Cousin zu. Wie immer, wenn man von Teufel geritten wird, hielt ich diesen Einkaufsbummel zunächst für eine gute Idee. Denn schließlich teilten wir mit dem Videospiel ein gemeinsames Hobby.
Nun weiss ich spätestens seit Beginn meiner Tätigkeit als Autor für Macinplay, dass ein gemeinsames Hobby noch lange keine gemeinsamen Interessen bedeutet. Entscheidend für eine Gesprächsbasis ist nicht, dass man notfalls Tag und Nacht vor dem Bildschirm verbringt, sondern wie man diese Zeit füllt. Sprich: Was man spielt. Und hier tun sich bereits innerhalb einer Spielergeneration Welten auf. Ich habe es bis dato nicht geschafft, eine Gruppe von Leuten um mich zu scharen, die die selben Spiele mögen wie ich, mit denen ich aber auch sonst gemeinsame Interessen teile. Stattdessen werde ich nun von Menschen, die ich jenseits des Videospiels kennen lerne, immer mit großen, fast schon entsetzten Augen angesehen, wenn das Thema Videogame ins Gespräch kommt. Nein, man kann meine Abneigung gegen das Onlinespiel überhaupt nicht verstehen oder spielt statt Killer 7 lieber Die Siedler, World of Warcraft oder einen Shooter – sofern man denn überhaupt mal ein Videogame spielt. Sogar bei Macinplay hatte ich mit meiner Vorliebe für die eher kurzweiligen, klassischen Games schnell einen Außenseiterposten eingenommen. Toll fand ich das nicht gerade. Denn wenn ich ehrlich sein will: So sehr ich es auch genoss, alleine gegen ein Programm zu spielen, so sehr hätte ich mich auch darüber mit jemandem unterhalten wollen. Austausch ist schließlich wichtig. Ohne die regen Gespräche und gemeinsamen Zocknachmittage mit einem Kumpel hätte ich es seiner Zeit wohl nie vollbracht, Maniac Mansion durchzuspielen. Deswegen freue ich mich immer, wenn ich Menschen begegne, die ein Spiel erst dann beiseite legen können, wenn es durchgespielt ist. So wie ich früher. Und genau so einer ist mein Cousin. Soviel also zu meiner Motivation, die ganze Sache mitzumachen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich ja nicht unhöflich sein wollte – immerhin hatte er mich gefragt.
Natürlich ist es verwegen, bei einem Altersunterschied wie dem zwischen mir und meinem Cousin geschmackliche Übereinstimmung zu erwarten. Ehrlich gesagt habe ich diesbezüglich gar nichts erwartet, sondern versucht, das »Event« einfach auf mich zukommen lassen. Gänzlich ahnungslos bin ich die Sache nämlich nicht angegangen. Ich hatte eigentlich auch gar keine Wahl. Mein Cousin lag mir während der letzten Tage (wir trafen uns anlässlich einer Familienfeier in meiner alten Heimat) nahezu ununterbrochen in den Ohren – sein Mitteilungsbedürfnis ist geradezu grenzenlos. Was habe ich da nicht alles lernen dürfen! Über die Vor- und Nachteile diverser Konsolensysteme aus der Sicht eines Zwölfjährigen bin ich nun bestens informiert. Außerdem kenne ich dutzende Geschichten von Spielen, Spielcharakteren, deren Eigenschaften, Kompetenzen, Verbandelungen mit anderen Spielcharakteren und Coolheitsgraden. Doch leider konnte ich nicht ein einziges Wort zu unserem Gespräch beitragen, denn von sämtlichen Spieletiteln, die während des stundenlangen Monologs meines lieben Cousins fielen, kannte ich nicht einen einzigen. Und je länger ich ihm zuhörte, desto klarer wurde mir, dass ich das auch gar nicht so bedauerlich finden musste – Pokémon, YuGiOh etc. pp. sei dank.
Ich hatte also meinen Cousin schon in die entsprechende Schublade (Pokitoist) abgelegt und dachte mir: ›Jemand, der thematisch so verankert ist, wird keine Probleme haben, schnell ein passendes Spiel für sich zu finden. In spätestens einer Stunde habe ich die Sache hinter mich gebracht.‹ Der Weg führte uns zunächst in einen Elektrodiscounter. Als sich mein Cousin nach zehn Minuten noch immer für keinen Titel entscheiden konnte, kamen in mir erste Zweifel auf, ob ich meine Tagesplanung noch halten konnte. Ich ließ ihn also vor dem Regal stehen und stöberte eine Weile in der CD-Abteilung. Und während ich so stöberte, kam ich ins Grübeln. Ich konnte mich nämlich beim besten Willen nicht daran erinnern, jemals mehr als zehn Minuten für den Kauf eines Videospiels benötigt zu haben. Das lief etwas anders:
- Vorbereitung auf den Kauf durch ausführlichen Vergleich von Testberichten mehrerer in Frage kommender Spiele,
- zusammenstellen einer Liste mit dem Wunschtitel und möglichen Alternativen – denn der Wunschtitel war ja nicht immer vorrätig,
- planung des Einkaufsbummels und schließlich
- der Kauf an sich.
In spätestens einer halben Stunde war die Sache erledigt – inklusive Hin- und Rückweg. Als ich nach einer halben Stunde zu meinem Cousin zurückkehrte, stand er nicht mehr vor dem Regal mit den Konsolenspielen, sondern ein paar Gänge weiter vor YuGiOh-Sammelkarten. Ja, er habe zwar ein Spiel gefunden, dass ihm gefalle, aber das sei zu teuer. Aha. Noch ein gravierender Unterschied: Wenn ich damals ein Spiel wollte, kaufte ich es. Egal wie teuer. Und noch während ich mich wieder an mich selbst erinnernd in mich zurückzog, war mein Cousin erneut auf dem Weg zum Regal mit den Spielen, wo er fünf Minuten verweilte und nochmals – für meine Begriffe völlig unattraktive – Games miteinander verglich. Das Spielchen wiederholte sich noch circa drei Mal, bevor er sich schließlich für drei YuGiOh-Kartendecks entschied, die ihn an der Kasse etwa 18,— (in Worten: achtzehn!!) Euro kosteten.
Als wir den Discounter verließen, hatte ich bereits große Lust, ein Stoßgebet ’gen Himmel zu schicken – aus Dankbarkeit, dass sich dieser Einkauf doch seinem Ende näherte. Dummer Weise kamen wir auf dem Rückweg an einem Laden vorbei, der gebrauchte Videospiele verkaufte. Den konnten wir natürlich nicht links liegen lassen … Ein ganzes Geschäft voller Videospiele – das löste sogar in mir eine merkwürdige Mischung aus Entzückung und Reizüberflutung aus. Wie sollte es da erst meinem Cousin ergehen?
Die Schwierigkeiten begannen schon damit, dass Unklarheit darüber herrschte, für welche Konsole ein Spiel angeschafft werden sollte: Er hat nämlich zwei daheim stehen. So begab es sich, dass ich ihn in der folgenden Zeit von einem Regal zum anderen pendeln sah. Da wurden Verpackungen aus dem Regal gezogen, von allen Seiten beäugt, der Verpackungstext gelesen. Die Verpackungen wurden zurückgestellt, bzw. auf einen Extrastapel gelegt, wenn ein Spiel in Frage kam. Dann wurde wieder verglichen und abgewägt. Dann wurde das Regal gewechselt, nur um dort die selbe Show noch einmal abzuziehen. Insgesamt verbrachten wir ca. eine Stunde in diesem Laden, und in den letzten Minuten lag vor meinem Cousin ein kleines Häufchen von Spielen, die irgendwie alle in Frage kamen, aber scheinbar keins davon so richtig. So etwas hatte ich schon einmal erlebt: Als ich im zarten Alter von etwa elf Jahren mit meiner Mutter Schuhe einkauften musste. Das war ein Erlebnis, das sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis einbrannte. Besonders, weil hier alle billigen Chauvivorurteile Realität wurden, die man jemals über Frauen und Schuhe hätte zusammentragen können. Nein, dieses Paar drückte, in dem anderen konnte sie nicht richtig laufen, das dritte war viel zu extravagant, bei dem vierten der Absatz zu hoch, das fünfte war zu teuer und bei den anderen dutzend Paaren war es eine Mischung aus alldem. Richtig peinlich wurde es für mich aber erst, als sich meine Mutter entschloss, ohne etwas zu kaufen den Laden zu verlassen und die Verkäuferin mit einem Haufen Schuhe allein zurückzulassen.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Das Videospiel ist der Schuh des frühpubertären jungen Mannes! Noch bevor die Phase einsetzt, in der versucht wird sich durch Kleidung zu individualisieren und schließlich auch für das andere Geschlecht interessant zu machen, gibt es eine Zeit, in der andere Dinge zur Profilierung der eigenen Persönlichkeit herhalten müssen. Fortan konnte ich es im Kopf meines Cousins rattern hören: ›Also objektiv betrachtet bin ich für Pokemon-Stadium ja doch ein wenig zu alt, auch wenn ich das Spiel wirklich gerne kaufen würde. Aber das kann ich jetzt nicht machen, sonst blamiere ich mich vor meinem großen Cousin. Hm. Vielleicht doch lieber das Rennspiel da? Sieht eigentlich ganz cool aus die Packung. Aber keine Ahnung, ob das auch wirklich gut ist. Will ja auch keinen Schrott kaufen. Hat mich bislang halt nicht interessiert, das Rennspiel an sich.‹ Und so weiter und so fort.
Da mir klar war, dass ich meinem Cousin – wenn überhaupt – nur ein schlechter Ratgeber sein konnte, habe ich schließlich den Laden verlassen und mich draußen auf eine Bank gesetzt. ›Tempus Fugit‹ dachte ich, ›und wie!‹, dachte ich auch. Obwohl es mir schwer fällt, das so wahrhaben zu wollen: Was für mich damals die Giana Sisters, Maniac Mansion und die Wintergames waren, sind für meinen Cousin heute Spiele, deren Namen ich kaum aussprechen, geschweige denn mir merken kann und die ich, wenn ich ehrlich sein will, sogar ein wenig verachte. Das Generationgap klafft, und mir wird so richtig deutlich, dass man auch im relativ jungen Medium Videospiel schon ganz klar zwischen verschiedenen Alterszielgruppen differenzieren muss. Das Videospiel, das alle gleichermaßen begeistert und in den Bann zieht, wird wohl immer seltener. Und ich frage mich, ob es das überhaupt mal gegeben hat. Waren wir früher nicht alle jung und mussten unser Hobby gegen die Ressentiments älterer Generationen verteidigen? Waren damals nicht alle Spiele auf uns, eine tendenziell eher jüngere Zielgruppe, zugeschnitten?
Nach einer weiteren Viertelstunde kam mein Cousin dann schließlich auch heraus – ohne ein Spiel gekauft zu haben. Sei alles nichts für ihn gewesen, sagte er. ›Zwischen den Stühlen sitzen, ist Scheiße‹ dachte ich. Wir gingen zur nächsten Eisdiele und gönnten uns jeweils drei Kugeln eines generationsübergreifenden Genusses. Schön, dass es auch so etwas gibt.