Besuch bei Application Systems Heidelberg
von David Sondermann, 20. August 2009 Neulich war ich in Mannheim unterwegs, und da dachte ich mir: „Mensch, Heidelberg ist nicht weit. Vielleicht kann ich mal bei Application Systems Heidelberg vorbeischauen?” Also meldete ich mich dort zum Besuch an.
Man holt mich am Heidelberger Hauptbahnhof ab. Nach einer kurzen Autofahrt kommen wir in einer kleinen Siedlung namens Pleikartsförster Hof an, eine Ansammlung mehrerer Häuser inmitten großer Felder. Von außen ist nicht zu erkennen, dass hier Deutschlands größter Anbieter von Mac-Software seine Heimat hat. Nur das große Klingelschild lässt keinen Zweifel aufkommen: Ich bin bei ASH angekommen.
Zunächst einmal bekomme ich eine kleine Führung durch die Büros und Lager. Bei allen Mitarbeitern stapelt sich die Arbeit auf den Schreibtischen; Post, Papierkram und Softwareverpackungen finden sich in mehr oder weniger ordentlichen Stapeln an jedem Arbeitsplatz.
Volker Ritzhaupt, Mitgründer und Geschäftsführer der Firma, hängt am Telefon und fädelt wieder einmal neue Deals ein. Im Lager des Unternehmens fangen meine Augen zu leuchten an. Es ist gut, dass ich unter Aufsicht durch die Regalreihen schlendere, denn ansonsten wäre ASH um einige Software- und Spiele-Exemplare ärmer. Meine mitgebrachte Tasche ist nämlich groß – seeeeehr groß…
Schließlich habe ich die Möglichkeit, dem Team von ASH ein paar Fragen zu stellen. Zu mir gesellen sich nach und nach Marcel Mechler, zuständig für Anwendungssoftware, Oliver Buchmann, verantwortlich für die Spiele, und der Chef persönlich, Volker Ritzhaupt. In einem interessanten Gespräch erfahre ich, dass sich ASH nicht einfach als Vertrieb von Mac-Software sieht, sondern als “Fullserviceanbieter”. Neben dem Vertrieb kümmert sich ASH auch um Anpassungen an den deutschen Markt, den deutschen Support sowie die Betatests der Software von Exklusivpartnern wie Aspyr Media. Darüber hinaus hat man einen eigenen Onlinestore im Angebot, über den die Software selbst verkauft wird. Aber auch iPod-Zubehör gehört seit einiger Zeit zum Repertoire.
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Im Oktober 2009 feiert ASH bereits sein 25-jähriges Jubiläum. In der Gründungszeit sollten eigentlich Komplettsysteme verkauft werden, allerdings entschied man sich dann dafür, Software für den damals beliebten Atari ST zu veröffentlichen. Das erste Produkt war ein C-Compiler. Mit der Zeit entwickelte sich ASH zur führenden Softwareschmiede für den Homecomputer von Atari. Mit MagiC hatte man sogar ein komplettes Betriebssystem im Programm. Dieses System sollte die Fähigkeiten des Atari-eigenen TOS erweitern und multitaskingfähig machen. MagiC war sehr erfolgreich, und so war es für ASH nur konsequent, nach dem Zusammenbruch des Atari-Markts Anfang der 90er Jahre MagiC auf den Mac und Windows zu portieren und so einen neuen Markt für seine Produkte zu suchen. MagiC-Mac und Magic-PC waren geboren und damit eine Virtualisierungsumgebung noch weit vor Parallels und Fusion. So wurde mit der Zeit aus dem Marktführer für Atari-Software der auf dem deutschen Markt führende Anbieter für Mac-Software von Drittherstellern (geschätzter Martktanteil: 80-85 %).
Zur Spielesoftware kam ASH, weil es sehr wenige deutschsprachige Titel gab. US-amerikanische Spielehersteller wollten lange Zeit nicht verstehen, dass es durchaus eine Notwendigkeit für eine Lokalisierung gab; schon allein die verschiedenen Tastaturlayouts waren damals ein nicht zu unterschätzendes Problem für Anwender. Neben der Lokalisierung der Softwareinhalte kümmert sich ASH auch um die Verpackung, die Handbücher, das Marketing sowie den deutschsprachigen Support. Oftmals liegen für die deutsche Anpassung, insbesondere der Spiele, die PC-Versionen als Grundlage vor. Aber auch eigene Übersetzungsarbeit wird geleistet.
So war das erste Spiel, das die heiligen Hallen des baden-württembergischen Softwarehauses verlassen hatte, die deutsche Version von F/A-18 Hornet (Mac und PC) von Graphsim Entertainment. Fortgesetzt wurde der erste Erfolg mit der Lokalisierung von Tomb Raider 2.
Inzwischen arbeitet die Heidelberger Firma mit vielen Größen der Branche zusammen, etwa Aspyr Media, Feral Interactive, Pangea Software, Freeverse oder MacSoft. Die neuesten Veröffentlichungen sind „Gehirntraining mit Dr. Kawashima“ und „Guitar Hero World Tour“.
Produziert werden die Softwareprodukte nach Bedarf. Dennoch ist ein Lager vorhanden, um Händler zeitnah beliefern zu können. Man versorgt große Elektronikketten wie Saturn und Mediamarkt, ebenso Fachändler, wie z.B. Gravis und mStore. Auch Amazon Deutschland gehört zum Kundenkreis von ASH, und damit natürlich auch der macinplay-Shop.
Aber nicht nur der deutschsprachige Raum profitiert vom Engagement der Firma aus der Rhein-Neckar-Region. Seit Ende 2007 beliefert der Ableger Application Systems Paris auch den französischsprachigen Markt mit Mac-Software. Zuvor gab es bereits eine Zusammenarbeit mit dem französischen Distributor apacabar, welcher mit französischsprachiger Software aus Heidelberg beliefert wurde. Nach einiger Zeit kam man bei ASH zu der Entscheidung, sich direkt am französischen Markt zu etablieren, um die dortigen Mac-User besser versorgen zu können. Inzwischen erreichen die Heidelberger auch auf diesem neu erschlossenen Markt ähnlich hohe Anteile wie auf dem deutschsprachigen.
Angesprochen auf mögliche Konkurrenz sehen die Mitarbeiter keine ernsthaften Mitbewerber am Markt. Es gebe einzig und allein die Softwareentwickler, welche ihre Produkte in Eigenregie vertreiben, ggfs. lokalisieren und in der Regel selbst zum Download anbieten. Aber gerade beim Spieledownload seien die Erwartungen nicht allzu hoch anzusetzen. In der Regel wollen die Kunden ihr Spiel wirklich „besitzen“ und in den eigenen Händen halten, so die Mitarbeiter von ASH.
Zurzeit hat ASH ein eigenes Softwareprodukt im Angebot: Bank X; wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich um ein Programm zum Online-Banking. Dieses liegt schon in der Version 4 vor. Dazu ist eine iPhone-App mit Namen Bank X mobile gerade fertig geworden und hat nun auch die Freigabe für den App Store erhalten.
Die Entwicklung überlässt ASH heute verstärkt anderen Firmen und konzentriert sich auf die bereits erwähnten Kernkompetenzen als Lokalisierungsdienstleister und Distributor. Man bleibt aber weiterhin seinen Wurzeln treu: Die Atari-Software kann nach wie vor bestellt werden.
Auf die Frage, ob iPhone-Umsetzungen von Spielen eine Option für ASH sei, entgegnete man mir, dass die Software oft zu Niedrigstpreisen verramscht werde, dass dies dem Preisgefüge im App Store schade. Um Software bekannt zu machen, mögen kurzfristige Angebote hilfreich sein. Auf lange Sicht jedoch können „billige“ Produkte nur mit anhaltend hohen Verkaufszahlen profitabel sein. Selbst exzellente Nischenprodukte hätten daher keine Chance. Auch die Zulassung zum App Store sei ein undurchschaubares Glücksspiel seitens Apple. Man hoffe aber, dass sich die Preise langsam erholen.
Die Verkaufszahlen von Mac-Spielen rechtfertigen keinen Auftritt auf Spielemessen wie Games Convention oder gamescom, so glaubt man bei ASH. Bislang sei man aber auf der Kölner Mac-Messe vertreten gewesen. Auch die Photokina ist ein wichtiger Termin im Kalender der Heidelberger. Dort werden Produkte wie die Fotosoftware „Bibble“ vorgestellt. Auf der neugeschaffenen Mac-Messe in Stuttgart werden die Heidelberger diesmal nicht selbst vertreten sein. Messeauftritte von Händlern werden aber immer bereitwillig unterstützt.
Alles in allem gehe es Application Systems Heidelberg wirtschaftlich gut. Bislang mache sich die Wirtschaftskrise nicht bemerkbar. So gebe es kontinuierlich kleine aber feine Steigerungen im eigenen Geschäft. Neben dem deutsch- und französischsprachigen Markt versorge ASH alle europäischen Apple Stores. ASH ist überzeugt davon, dass momentan der Mac-Markt noch traditionellerweise bei den „Kreativen“ und seit einiger Zeit bei den „Lifestyle“-bewussten Anwendern liege. Nach eigenen Schätzungen beläuft sich der Anteil dieser Nutzergruppen im Gesamt-PC-Sektor auf einen Wert im unteren einstelligen Prozentbereich. Diese für Apple derzeit noch wichtige Zielgruppe, die hauptsächlich in Ballungsgebieten zu finden ist, werde allerdings zahlenmässig an Bedeutung verlieren. Momentan sehe man wieder eine starke Zunahme bei vorwiegend zahlungskräftiger Kundschaft, die weniger im ländlichen Raum zu finden sei. Eine dieser Klientel sei beispielsweise der Bildungsbereich. Allerdings komme der Mac durch Empfehlungen der jüngeren Generationen einer Familie auch in die Vorstädte und aufs Land, so dass dort ebenfalls Steigerungen des Mac-Anteils zu erwarten seien.
Neben der längst überfälligen Umgestaltung der eigenen Website hat ASH zur Zeit sehr viele Projekte in Bearbeitung. Da stellt sich natürlich die Frage, wie die Mac-Spezialisten zur Software kommen. Natürlich werde der Markt ständig beobachtet und teilweise Entwickler direkt angesprochen. Oftmals kommen Neulinge in der Software-Branche, die im europäischen Markt Fuß fassen wollen, durch Empfehlungen zu ASH. Im allgemeinen sei es ganz einfach: Wenn den Heidelbergen eine Software gefällt, dann machen sie sie. In Heidelberg will man guter Software eine Chance geben. Auch wenn es gewagt erscheinen mag, das Webdesign-Programm Freeway (Mac only) auch bei der Dominaz der Platzhirsche Dreamweaver und GoLive im Markt etablieren zu wollen, glaube man an das Produkt und führe es auch Anspruch auf Marktführerschaft weiter. Es kommt aber auch vor, dass einige Titel wie z.B. iStop Motion, sich entgegen der Erwartungen äußerst gut verkaufen, sich etablieren und nicht durch andere Produkte gegenfinanziert werden müssen. Dieses von Volker Ritzhaupt so genannte „Mitschleppen“ kleinerer Titel ist eine erfreuliche Unternehmenspolitik, denn so finden auch Nischenprodukte ihren Weg auf den deutschen Markt. Große Verlage hingegen nähmen nur Mac-Software ins Programm, von denen eine Windows-Version existiert. Volker Ritzhaupt erklärt, dass beispielsweise die Verkaufszahlen von iView stark anstiegen, nachdem eine PC-Version veröffentlicht wurde. Trotzdem wurden fast nur Mac-Versionen verkauft. Kurioserweise treiben somit PC-Versionen den Verkauf der Mac-Software an. Von Freeway hingegen gibt es leider keine Windows-Variante, sonst lägen die Verkaufszahlen mit Sicherheit weit höher.
Die größten Spiele-Verkaufserfolge von ASH sind bislang die Flugsimulation X-Plane, die Age of Empires-Reihe, Sid Meier’s Civilization von 2 bis 4 (jüngst ist dessen Erweiterung Beyond the Sword erschienen), die Shooter-Serie Call of Duty sowie (natürlich) Die Sims, die seit der ersten Version bis zur aktuellen Ausgabe, Die Sims 3, bei ASH erschienen sind.
Die Lieblings-Anwendungssoftware der Heidelberger dürften den Verkaufszahlen nach die bereits oben erwähnten Bank X und Bibble sein, dicht gefolgt von RapidWeaver und dem Helferlein The Missing Sync.
So geht ein interessanter Nachmittag zu Ende. Ich durfte die heiligen Hallen der Mädels und Jungs von ASH besuchen, die übrigens zur Zeit erweitert werden. Die Zukunft für deutsche Mac-Software scheint gesichert, und so werden wir uns wohl bald über neue Produkte für unseren Lieblingscomputer freuen dürfen. Wir sind gespannt.
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