Tropico

Eine kleine Insel, irgendwo in der Karibik. Wolken ziehen über sie hin, und so manches Mal knallt ein tropisches Unwetter auf sie hernieder. Es gibt reichlich Wald auf der Insel, reiche Fischgründe, und auch Bodenschätze. Dann gibt es noch einige Einwohner, deren Wohl und Wehe bestimmt wird durch nur eine einzige Person: mich, El Presidente der Insel. Ich habe mich vor Kurzem an die Macht geputscht, mit voller Unterstützung des Militärs. Nun muss mich gegen kommunistische Rebellen und Abweichler erwehren auf meiner eigenen, kleinen Insel. Der Name dieser Insel ist Tropico.

Tropico ist ein seltenes Crossover aus Wirtschaftssimulation und Politikspiel. Und, um es gleich vorweg zu nehmen, auch ein selten gut gelungenes. Es basiert auf der Railroad Tycoon-2-Engine, das ebenso wie Tropico von der kleinen US-Firma PopTop stammt. Der nahezu zeitgleiche Veröffentlichungstermin von Windows- und Macintosh-Version zeigt, wie wichtig PopTop der Mac ist. Die deutsche Version des Spiels erscheint bei Application Systems Heidelberg.

Das Spiel beginnt mit einer grandiosen Kamerafahrt durch die Hauptstadt der Insel, die im Arbeitszimmer von El Presidente endet. Dort befindet sich das (unkonventionell gestaltete) Hauptmenü, bei dem es sich sogar lohnt, auch mal die Credits anzusehen – witzige Animationen von Spielcharakteren machen schnell klar, dass sich PopTop selbst nicht ganz ernst nimmt. Im Hauptmenü gibt es ein knappes (und sehr empfehlenswertes) Tutorial zu starten, das den neuen Spieler mit den groben Funktionen der Steuerung und auch einigen der vielen Menüs vertraut macht. Nach dem Tutorial ist man schnell mit dem Interface und seiner Funktionalität vertraut und kann loslegen mit seiner Diktatur, doch im Laufe des Spiels stellt man dann fest, dass es jede Menge weiterer Menüs, Funktionen und Knöpfchen gibt. Wer Railroad Tycoon 2 kennt, wird schnell mit der Steuerung klar kommen, denn wirklich komplett anders ist das Tropico-Interface nicht (außer, dass es hier keine Eisenbahnen gibt). Viele bewährte Dinge, wie etwa die jährliche Bilanz mit den vielen, detaillierten Berichten und Statistiken, wurden quasi 1:1 aus dem großen Vorgänger übernommen. Neu ist dagegen der Ratgeber, der sich akustisch bemerkbar macht, mit einem herrlich-klischeehaften spanischen Akzent in der guten deutschen Umsetzung.

Im Hauptmenü kann man vorgefertigte Missionen laden, die den Spieler sofort in eine konstruierte Situation des kalten Krieges der 50er oder 60er Jahren werfen (also wie im richtigen Diktatoren-Leben) und mit bestimmten Zielen konfrontieren, etwa innerhalb von 40 Jahren 750.000 $ Umsatz aus Tourismus zu machen. Es ist trotz der Tatsache, dass der Tourismus noch völlig unterentwickelt ist eigentlich nicht weiter schwierig, diese 750.000 $ zu verdienen – vorausgesetzt, man kann sich so lange an der Macht halten. Und da beginnen die spielerischen Herausforderungen, die Tropico bietet. Das Volk denkt. Das Volk hat eine Meinung. Und das Volk ist stark. Schlechte Bedingungen also, um als Diktator der Bananenrepublik zu bestehen, doch vorteilhaft ist, dass das Volk nicht bloß eine einzige Meinung hat, sondern viele, und darum in mehrere Gruppierungen zersplittert ist. Jeder einzelne Einwohner des Inselstaats – und auch die touristischen Besucher – haben bestimmte, eigene Ansichten. Jeder einzelne hat bestimmte Vorlieben, oder Kombinationen daraus. So kann es sein, dass ein Einwohner Anhänger der Kommunisten ist, gleichzeitig ein Militarist, der viel Wert auf Sicherheit legt. Ein anderer Einwohner steht ebenfalls auf’s Militär, ist aber gleichzeitig zutiefst kapitalistisch veranlagt. So mögen sich die Ansichten der beiden zwar in Teilbereichen decken, doch in anderen Bereichen können sie durchaus völlig konträr laufen.

Alles, was der Spieler tut, beeinflusst direkt oder indirekt die Lebensqualität auf Tropico. Der Spieler kann zum Beispiel den Befehl zum Bau eines Kohlekraftwerks geben. Das sollte er aber nicht zu nah am touristisch besten Platz der Insel tun, denn sofort steigt die Luftverschmutzung, was zum einen die Umweltschützer im Volk auf die Barrikaden bringen kann, zum anderen aber auch die Attraktivität der Gegend schmälert. Glücklicherweise ist der weise Diktator in der Lage, durch ein direkt verordnetes Edikt Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft zu ergreifen. Ebenfalls per Edikt mutiert das Volk zu Mülltrennern und Fußwegreinigern, was den Umweltschützer freut und auch den Touristen aus dem reichen Amerika wieder anzulocken vermag.

Edikte spielen eine derart wichtige Rolle im politischen Dasein des Diktators, dass sie neben dem Bau- und dem Informations-Modus einen eigenen Hauptnavigationspunkt spendiert bekommen haben. Per Edikt lässt sich regieren. Hier werden Außenhandelsbeziehung zu den USA oder der UdSSR gepflegt. Hier wird bestochen. Hier wird das Schweizer Nummernkonto gefüllt. Hier werden Unschuldige ins Gefängnis geworfen. Hier wird der Mordauftrag für politische Gegner vergeben. Spielt sich Pablo Menez von den Intellektuellen wieder mal zu sehr auf, dann kann ihn El Presidente zur Fahndung ausschreiben und in den Knast befördern lassen. Da kann er entweder schmoren, bis er schwarz wird (und dem Staat beim Fertigen von Nummernschildern Geld bringen) oder politisch umerzogen werden. Mit viel Geduld wird aus dem Kommunisten hier ein Kapitalist oder umgekehrt.

Neben der politischen Arbeit mit den Edikten lässt sich die Insel auch durch Baumaßnahmen entwickeln. Durch Bauaufträge wächst die Wirtschaft des Landes: Farmen produzieren Mais, Bananen oder Ananas, die exportiert werden, oder auch zum Beispiel Kaffe oder Tabak. Der Tabak kann entweder ebenfalls exportiert oder aber zu einer Zigarrenfabrik gekarrt werden. Dort werden aus ihm Zigarren gemacht (nicht etwa ein Kilo Tabak gegen ein Kilo Zigarren, sondern Verschnitt, unbrauchbares Kraut etc. werden in dieser Simulation schon berücksichtigt), die wiederum für viel mehr Geld exportiert werden können.

Auch Minen können gebaut werden, in denen nach Eisen, Bauxit etc. geschürft wird. Auch hier gibt es weiterverarbeitende Industrien. Oder man züchtet Vieh, das später geschlachtet und eingedost wird. Oder man schlägt Holz, aus dem man Bretter gewinnt.

Wo Industrie ist, arbeiten Menschen. Diese Menschen müssen irgendwo wohnen. Von selbst bauen sie Wellblechhütten und Bretterverschläge, in denen sie hausen, ohne Miete zu zahlen. Doch lieber wohnen sie in größeren Wohnungen, Apartements und Einfamilienhäusern. Diese lassen sich planen und bauen. Auch Mieten lassen sich festlegen, und die Art der Pflege des Hauses (normale Reinigung oder schlichtweg nur mal kurz nach Kakerlaken schauen). Neben Raum zum Wohnen haben die Tropicaner auch andere Bedürfnisse. Sie wollen essen, sie wollen unterhalten werden, sie wollen zur Kirche, sie wollen lernen. All diese Bedürfnisse muss der Diktator befriedigen, indem er weise den knappen Raum der Insel aufteilt. Brunnen sorgen für eine angenehme Atmosphäre in den billigen Wohnvierteln. Eine Polizeistation schafft zwar Ruhe und Ordnung, gleichzeitig schränkt sie aber auch die Freiheit der Einwohner ein – Polizeistaat Tropico?

Gegen Übergriffe von Rebellen oder Landungen in der Schweinebucht helfen Soldaten. Diese wollen gut versorgt sein, denn sie sind die bewaffnete Macht auf Tropico, und sicherlich ein Risikofaktor, wenn es um den Erhalt der Macht geht. Während meiner Spiele bin ich mehrfach überraschend einem Putsch zum Opfer gefallen – aus den Reihen des Militärs. Schließlich hatte ich den Dreh raus, wie ich das Militär glücklich mache: Ich habe gleich zu Anfang das Gehalt für Soldaten auf das Maximum gestellt und munter drauflos gespielt. Das Ende vom Lied: Ich wurde vom Militär abgesetzt. Soll heißen, dass Tropico nicht bloß einen einzigen Faktor betrachtet, um das Spiel voranzubringen und Situationen zu bestimmen, sondern viele, die miteinander interagieren und voneinander abhängen.

Nicht nur durch einen Putsch kann der Diktator seine Macht verlieren, sondern auch durch demokratische Zugeständnisse. Alle paar Jahre fordert das Volk mal wieder eine Wahl. Dem Diktator steht es frei, diese zuzulassen (was sein Volk freut) oder abzulehnen (was es erzürnt). Lehnt er ab, muss er sich mit einer hundsmiserablen Stimmung im Volk auseinandersetzen, stimmt er zu, findet sich ein Gegenkandidat für das Amt des Präsidenten. Ein Jahr drauf wird gewählt – natürlich gibt es die Möglichkeit, die Wahlen zu manipulieren (wie sich das für eine echte Bananenrepublik gehört), doch das kostet einerseits Geld und kann andererseits herauskommen (was das Volk wiederum erzürnt). Man kann natürlich auch den Gegenkandidaten aus dem Weg räumen. Wie sich *das* auswirkt, kann man sich vielleicht denken (was wäre in Deutschland wohl los, wenn ein Kanzlerkandidat den anderen ins Gefängnis werfen lassen würde?).

Tropicos Bewohner gelangen auf drei Arten ins Land. Bei Spielbeginn gibt es bereits eine Anzahl Leute, die geschäftig ihrer Arbeit nachgehen. Per Schiff kommen – sofern die Außenpolitik das zulässt – Immigranten ins Land. Derartige Gastarbeiter lassen sich vielfach gegen Geld auch ins Land holen. Die dritte Art des Bevölkerungswachstums scheint simpel: Vermehrung. Wenn sich zwei Tropicaner lieb haben, dann dürfen sie heiraten, sobald sie 16 sind. Dann kommt der (nicht sichtbare) Part mit den Bienchen und den Blümchen, und als Ergebnis kommen Babies bei raus. Tropico beginnt in den 50er Jahren. Wenn 1955 ein Baby geboren wird, dann wächst es langsam heran, läuft unproduktiv durch die Gegend und tritt 13, 14 Jahre später ins Berufsleben ein. Relistischerweise werden Leute nicht nur geboren, sondern sterben auch, und zwar aus allen möglichen Gründen. Natürlich können sie erschossen werden. Doch die meisten Tropicaner sterben eines natürlichen virtuellen Todes, etwa an Herzinfarkten, Krebs, Atemstillstand oder sonstigen Krankheiten. Die Lebenserwartung der Einwohner (und damit auch deren produktive Zeit im Leben) lässt sich dabei dramatisch durch den Bau von Krankenhäusern verlängern. Wenn du dich in den Seelenzustand einzelner Personen hineinversetzen willst, kannst du einfach seine Gedanken lesen, indem du die entsprechende Funktion aufrufst. Da gibt es dann Dinge zu lesen wie „Ich heirate!“ oder „Ich habe eine Gehaltserhöhung bekommen!“, aber auch eindeutige Hinweise wie „Ich würde gern mal in ein Restaurant gehen.“ Sehr interessant sind auch Sätze wie „Geh sofort aus meinem Kopf raus!“ oder bei einem Kind „Wenn ich groß bin gehe ich nach Amerika und arbeite für PopTop!“

Die Ziele des Spiels können unterschiedlich sein – mach viel Geld, kann ein Ziel lauten Halte dich an der Macht ein anderes. Neben den vordefinierten Missionen gibt es auch einen Zufallsgenerator, der sich aber etwas beeinflussen lässt. So kann die Größe und die Form der Insel vorgegeben werden, die Anzahl der Einwohnerschaft zu Beginn des Spiels, die Vegetationsdichte und die Wasserfläche. Weitere Faktoren spielen ebenfalls ihre wichtigen Rollen. Schließlich lassen sich auch noch definierte Diktatoren auswählen. Von Fidel Castro bis Manuel Noriega ist alles dabei, bekannte wie unbekannte, Diktatoren und deren Wegbegleiter. Wenn man sich lange genug durch die Ahnengalerie klickt, erlebt man eine faustdicke Überraschung mit einem gewissen Popsänger. Diese Überraschung erlebte ich auf einem PowerBook im Zug nach Bonn, wo ich durch schallendes Gelächter unangenehm auffiel. Ein weiterer „Diktator“ aus der Galerie sorgte im Nachhinein auch noch für eine Überraschung. PopTop hatte vor Erscheinen des Spiels einen Wettbewerb ausgelobt, in dem man aufgefordert war, einen interessanten Charakter zusammenzustellen. Der Gewinner sollte dann nebst Foto im Spiel verewigt werden. Gewonnen hat dann auch jemand, der hat aber nicht etwa ein Foto von sich eingeschickt, sondern eines von Photoshop-Guru Doc Baumann – und das ist dann mit Sonnenbrille versehen auch ins Spiel eingegangen…

Wie gerade angedeutet besitzen die Diktatoren bestimmte Wesenszüge, die sich ganz direkt auf das Spielgeschehen auswirken. So mag der Diktator wunderbare menschliche Fähigkeiten haben, aber schlichtweg potthässlich sein. Und ein fußnägelkauendes Warzenschwein als Staatschef hält Touristen fern… Oder er ist gutaussehend und hat laufend Frauengeschichten. Macht sich nicht gut im informierten Ausland… Die Wesenszüge lassen sich in den Dossiers der Diktatoren ändern, auch die Namen. So lässt sich El Presidente ganz bequem konfigurieren – genieße es. So einfach geht das nur im Spiel…

Tropico ist ein reines Einpersonenspiel. Es wäre zwar schön, wenn mehrere Diktatoren mit verschiedenen Inseln gegeneinander antreten könnten, doch erstens ist der militärische Bereich für wirkliche Auseinandersetzungen mit Gegnern nicht ausgefeilt genug, zum anderen gibt es vermutlich keinen einzigen PC oder Mac, der in der Lage wäre, die Komplexität des Spiels auch noch für mehrere Personen zu berechnen. Insofern muss man einfach sagen: Besser geht’s einfach derzeit nicht.

Auf einen echten Nachteil der Komplexität von Tropico muss ich leider auch zu sprechen kommen: die echt miese Performance. Ich habe das Spiel auf einem 400 MHz/384 MB G3-Powerbook und auf einem 533 MHz/896 MB G4 getestet – auf beiden Rechnern läuft es ab einer Zahl von etwa 300 Einwohnern einfach grausam langsam. Die Rechner sind offenbar nicht in der Lage, die komplexen Zusammenhänge des Spiels flüssig zu berechnen. Ich halte das allerdings nicht für ein Manko des Spiels – allenfalls hätte die maximale Einwohnerzahl heruntergesetzt werden können, was den Spielspaß reduziert – sondern für ein Manko der derzeit verfügbaren G3- und G4-Prozessoren, die wunderbar schnell Vektoren berechnen können, aber leider nur mittelmäßig Integer- und Fließkomma-Operationen. Und weil das kein Problem des Spiels ist, dass Apple gelegentlich falsche Prioritäten setzt, geht die schleppende Performance auch nicht negativ in die Wertung ein. Tipp für die Performance: optischen Schnickschnack abschalten, etwa Wolken und Wettereffekte, das entlastet den Prozessor ein wenig.

Fazit:

Wenn du komplexe Wirtschaftssimulationen magst, dann kauf dir Tropico. Dies ist mit Sicherheit eines der besten und eines der komplexesten Echtzeitstrategie-/Wirtschaftssimulationsspiele, die es bisher auf den Markt gibt. Schön ist der Einschlag in die Politik, den es so bislang nicht am Mac gab. Pfiffige Ideen und kecke Sprüche runden das Ganze ab. Die ausgesprochen karibische Musik, die für sich betrachtet ganz schön nervt, kann man abschalten – doch sie passt derart gut zum Spiel, dass sie einfach kultig ist.

Verfügbarkeit

Zu haben ist das Spiel im macinplay-Shop.

Screenshots (klicken für mehr)

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