macinplay empfiehlt Piratenpartei zur Bundestagswahl
Am 27. September finden in der Bundesrepublik Deutschland die Wahlen zum Deutschen Bundestag, dem wichtigsten Parlament des Landes, statt. Der Bundestag hat den Bundeskanzler (oder die Bundeskanzlerin) zu wählen, Gesetze zu verabschieden sowie die Regierungsarbeit zu kontrollieren. Zur Hälfte werden die Abgeordneten direkt von den Wahlberechtigten gewählt (Erststimme), zur anderen Hälfte ziehen sie über die Landeslisten der Parteien ins Parlament ein (Zweitstimme). In diesem Artikel bitten wir Euch, am 27. September zur Wahl zu gehen und Eure (Zweit-) Stimme der Piratenpartei zu geben. Weshalb wir Euch darum bitten, erklären wir im Folgenden.
Weiter so!
In der aktuellen Wahlperiode, in der eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD die Regierung stellt und die zuletzt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise dominiert wurde, sind etliche gute und richtige Gesetze verabschiedet worden, und auch einige Reformen konnten angegangen und verabschiedet werden. Wäre nicht die Finanz- und Wirtschaftskrise über die Welt und damit auch Deutschland hereingebrochen, wäre die Bilanz dieser Regierung trotz mancher berechtigter Kritik im großen Ganzen betrachtet positiv ausfallen. Das wäre eigentlich ein Signal für ein “Weiter so”.
Fragwürdige Maßnahmen
Doch in letzter Zeit häufen sich fragwürdige bis antidemokratische Gesetzesvorhaben, Verordnungen und Vorschläge, die bei uns große Besorgnis auslösen. Da werden Gesetze durch die Instanzen gepeitscht, vorgeblich, um für mehr innere oder äußere Sicherheit oder den Schutz von Kindern vor Missbrauch zu sorgen. In Wahrheit werden jedoch Instrumente installiert, die das Land auf den Weg in den Überwachungsstaat führen können. Dazu zählen die Vorratsdatenspeicherung, die seit dem 1. Januar 2008 jeden Bundesbürger, der Telefon und Internet nutzt, unter eine pauschale Überwachung stellt, dazu gehört die seit 2005 teilweise illegal durchgeführte Online-Durchsuchung von privaten und geschäftlichen Computern mittels “Bundes-Trojaner”, wie auch das Zugangserschwerungsgesetz, hinter dessen sperrigem Namen sich für eine Sperrung von Kinderpornografie im Internet vollkommen unwirksame, aber gefährlich undemokratische Maßnahmen verbergen.
Das Zugangserschwerungsgesetz
Auf dieses Gesetz gehen wir einmal näher ein, denn es betrifft nicht bloß Kinderschänder. Hinter diesem Gesetz steckt die richtige Idee, dass der Vertrieb dokumentierten Kindesmissbrauchs über das Internet nicht hingenommen werden kann. Dazu wird eine Liste mit “bösen” Seiten erstellt, die auf völlig intransparente Art und Weise durch das Bundeskriminalamt geführt werden soll. Wer nun eine Seite mit verdächtigem Material aufruft, soll ein virtuelles Stoppschild angezeigt bekommen, das auf die Strafbarkeit der Inhalte aufmerksam macht. Diese Sperre ist jedoch komplett wirkungslos. Technisch basiert sie auf den gleichen Zensurmechanismen, wie sie etwa in den Regimen des Irans und Chinas üblich sind. Wie leicht sie zu umgehen ist, hat die Weltöffentlichkeit staunend zur Kenntnis genommen, als sie mittels Twitter und YouTube über die wahren Verhältnisse nach der vergangenen iranischen Wahl aufgeklärt wurde. Wer die Sperre umgehen will, muss lediglich einen anderen DNS-Server eintragen – damit ist sie wirkungslos.
Im Falle des kriminellen Anbieters pädophilen Materials ist bei Auftauchen des Stoppschilds sofort klar, dass gegen ihn ermittelt wird und er nimmt seinen Schweinkram vom entsprechenden Server herunter und lädt den Dreck woanders wieder hoch, wo er erst einmal wieder gefunden werden muss – das Gesetz dient daher nicht, wie behauptet wird, dem Opfer, sondern ganz im Gegenteil dem Täter. Sobald bis zu den Beratern der Politik durchdringt, wie sinn- und wirkungslos ihr zahnloser Sperr-Tiger ist, ist allerdings anzunehmen, dass ein rigiderer Sperrmechanismus eingeführt wird, der weniger leicht zu umgehen ist.
Internet-Experten war die Wirkungslosigkeit natürlich von Anfang an klar – die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt das jedoch unbeeindruckt. Eine Petition mit der überwältigende Beteiligung von 134.015 Bürgerinnen und Bürgern gegen diese vollkommen unwirksame Sperrmaßnahme wurde durch Ministerin von der Leyen und den Deutschen Bundestag ignoriert, obwohl dies die größte jemals erfolgte Petition in der Geschichte der Bundesrepublik war – mit 389 Ja-Stimmen gegen 128 Nein-Stimmen bei 18 Enthaltungen (PDF der namentlichen Abstimmung) wurde die größte Zensur-Maßnahme der jüngeren Zeit beschlossen. Denn angeblich ist es ja “für die Kinder”.
“Nur gegen Kinderpornos”
Von der Leyen und ihr Beraterstab betonen stets und immer wieder, dass das Zugangserschwerungsgesetz ausschließlich gegen Kinderpornographie in Stellung gebracht wurde. Doch die Begehrlichkeiten sind geweckt: Reflexartig meldete sich die Musikindustrie und forderte eine Filterung illegaler Musikdownloads. Der Zentralrat der Sinti und Roma fordert eine Ausweitung auf “Hass-Seiten”, der bayerische Innenminister will gleich alle rechtsextremistischen Seiten anscheinend nach dem Vorbild eines Feindsenderverbots filtern, und andere Unionspolitiker fordern nun auch noch Internetsperren für sogenannte Killerspiele. Günther Beckstein (CSU) geht sogar so weit, Kinderpornografie und Actionspiele auf eine Stufe zu stellen.
Killerspiele sind nächstes Opfer
Im Zusammenhang mit einem durch die Innenministerkonferenz angeregten Herstellungs- und Vertriebsverbot sogenannter Killerspiele gab es wie beim Zugangserschwerungsgesetz eine Petition, die immerhin über 73.000 Petenten unterzeichnet haben. Diese Petition wird jedoch in der aktuellen Wahlperiode aus organisatorischen Gründen nicht mehr vor dem Petitionsausschuss gehört werden können – wir Wählerinnen und Wähler können daher noch unmittelbar Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren und die Diskussion um “Killerspiele” nehmen.
Gleichzeitig nimmt die Debatte um “Killerspiele” immer absurdere Ausmaße an. Standen zu Anfang noch einigermaßen nachvollziehbar Egoshooter im Fokus der Angriffe, wird nun von Seiten der Spielefeinde auch das Feuer auf Strategiespiele wie “Warcraft 3″ eröffnet.
Die Bundestagswahl
Am 27. September steht eine Entscheidung an: Wollen wir Deutsche es zulassen, dass uns gerade erst erkämpfte Freiheiten genommen werden, dass wir grundlos und pauschal unter Verdacht gestellt und überwacht werden, dass der Staat schleichend die Macht über unser Privatleben übernimmt, Erwachsenen das Spielen von Computerspielen verbietet und dass durchschnittlich 50-Jährige (Stand: 2005!!) ohne entsprechende Sachkompetenz über die Fragen, die sich durch die moderne, digitalisierte Gesellschaft von heute stellen, entscheiden?
Wir glauben nicht, dass die Karrieristen und Lobbyisten, die beide in den traditionellen Parteien großen Einfluss haben, in der Lage sind, diese Fragen des modernen Lebens sinnvoll zu beantworten. Wir glauben, dass diese Antworten nur eine neue Kraft finden kann. Wir glauben an die Piratenpartei, so dämlich der Name auch sein mag.
Die Piratenpartei
Die Piratenpartei kommt ursprünglich aus Schweden, wo sie im Zusammenhang mit dem Filesharing-Dienst “The Pirate Bay” und der Debatte um die unfairen Nutzerrechte der Unterhaltungsindustrie entstand. (Mittlerweile geht es ja anscheinend auch ohne Digital Rights Management bei Download-Songs. Und ulkigerweise völlig problemlos.)
In Deutschland ist sie jung – die Piraten gründeten sich erst im Jahr 2006. Entsprechend fehlt es auch noch an allen Ecken und Enden an Experten für “klassische” Politikfelder wie Finanzen, Soziales, Arbeit, Auswärtiges, Verteidigung und Umwelt. Aus diesem Grunde äußern sich die Piraten – als einzige ernstzunehmende Partei, wie manchmal scheint – ausschließlich zu Themenkomplexen, von denen sie auch Ahnung hat. Aktuell handelt es sich dabei um:
- Überwachung,
- Patente,
- Urheberrecht,
- Transparenz,
- Monopolentwicklung,
- Open Access (Bildung!),
- Zensur und, Spieler aufgemerkt,
- Egoshooter.
Aufgrund des hohen Interesses an der Partei und dem Achtungserfolg bei der vergangenen Europawahl, bei der sie aus dem Stand 0,9 Prozent aller Stimmen holte, werden über Kurz oder Lang Experten auch für andere Bereiche der Politik bei den Piraten anheuern. Das ist nur eine Frage der Zeit.
Interessant ist, dass sich die Piraten nicht links, rechts oder in die neuerdings so überfüllten Mitte einordnen lassen – sie sind völlig losgelöst und frei dieser überholten Denke. Argumentiert wird ausschließlich sachlich. Das irritiert die Worthülsen-Vertreter und Phrasendrescher der traditionellen Parteien, die sich stets links, rechts oder mittig definieren, ebenso sehr wie viele Medien, die den Piraten daher oft den nötigen Ernst absprechen und sie fälschlicherweise als “Spaßpartei” abtun oder als “Raubkopierer” darstellen.
Das Wahlprogramm der Piratenpartei beinhaltet die Forderungen und Wünsche, mit denen das Parlament geentert und die politische Landschaft geändert werden soll. Ihr solltet es unbedingt lesen – lang ist es nicht, und vermutlich betrifft es Euch. Eine wunderbare Zusammenfassung der Vorstellungen der Piraten findet Ihr außerdem bei Golem.
Aufruf zur Wahl
Wir von der macinplay-Redaktion rufen Euch auf, am 27. September 2009 Eure Erststimme, vor allem aber Eure Zweitstimme der Piratenpartei zu geben. Geht hin. Wählt. Klarmachen zum Ändern!
PS: In Sachsen ist es leider nicht möglich, für die Piratenpartei zu stimmen, da hier nicht die erforderlichen Kriterien erreicht werden konnten, um zur Wahl zugelassen zu werden. Euch Sachsen – aber auch nur Euch! – empfehlen wir daher alternativ Bündnis 90 / Die Grünen zu wählen. Beim nächsten Mal dann aber auch in Sachsen die Piratenpartei wählen!